Ich habe keine Dauerkarte mehr. Ich habe kein "Prämiere". Ich hänge nicht live im Internet. Ok, manchmal. Ich bin nicht mehr so süchtig. Das Geld, die Werbung und das Fernsehen wollten es so. Ihr seid schon drin, ich bin schon raus. Bin ich also kein Fan mehr?
Aber wie fing das denn alles an? Die Anfänge sind so mysteriös wie die Nebelsicht an der Hohensyburg.
Ich stand 1985 im Westfalenstadion auf der Südtribüne. BVB gegen Uerdingen. Es waren vielleicht fünfzenhntausend Zuschauer da. Die meisten standen auf der Südtribüne. In den Abendhimmel stiegen die Rauchschwaden der Zigaretten. Es roch nach Nikotin und Bier und Wurst. Bratwurst oder Currrywurst. Es wurde gesoffen. Ab und zu kam der weiße Eismann. Gegen Schxxxx war ein gefrorenes Hörnchen immer gut... Und zwei Stunden vor dem Spiel waren die Gesänge das Wichtigste. "Das sind zwei belegte Brote - eins mit Schinken - eins mit Ei". "Schinken" und "Ei" hallten durch das Stadion und ersetzten Werbung von "Atze Essing". Der Dialekt des Stadionsprechers - derbes Westfälisch mit dem Dortmunder Lispler - vermittelte das Stückchen Heimat vom Borsigplatz. Worüber andere lachten, weil das Fernsehen noch aus den Städten des HSV und der Bayern kam, war unsere Nachbarschaft. Aber Dortmund war nicht am Fussballnabel der Welt. Es gab keine Schönwetterfans. Der BVB war populär am Hellweg und drumherum. Aber beliebter als Bayern? Noch nicht...
Jedenfalls prägte sich dieses erste Erlebnis vom Bundesligafussball jenseits des Sauerlandes, dieses scheinbar unüberwindbaren Waldes, durch den die Eisenbahn zum Stadion fuhr, sehr ein. Die langen Zweimeter-Strickschals in schwarz-gelben Balken hingen zum Kauf bereit, aber sie waren nicht so wichtig wie da zu sein. Um zu singen oder so zu tun als ob. Es war das Grölen, das Schreien, das sich unter dem Stahldach der Südtribüne zusammenbraute, sich vermischte mit dem Aroma aus dem östlichen Ruhrpott zu einem heiligen Heimbonus. Hier formte sich die Basis für den Pokalsieg und die späteren Meisterschaften, die den Ruhm des BVB neu aufpolierten.
Ich kaufte mir 1987 eine Dauerkarte, als die Relegation gesichert war und der Sturm Mill/Dickel für den schwarz-gelben Offensivwirbel sorgte, der Block 13 immer unter Strom hielt. Das ist jetzt auch fast wieder so, nur daß Trainer Doll aus dem Sturmpotential ein bißchen mehr Wirbel machen könnte. Wenn wir nicht im durchgedrillten, videobewiesenen postmodernen Taktikfußball gelandet wären.
Warum ich keine Dauerkarte mehr habe, lag an allen Erfolgen, die ein Fan im Leben erreichen kann und an der Trojapferd-Ära Niebaum/Meier und dem ganzen Seifenblasenkonsumverrat. Wie Herrn Meier bei den Fanclub-Abenden kritisch nicht nahe zu kommen war und er mit dem zu oft grinsenden, vorher solide arbeitenden Niebaum über die finanziellen Stränge und charakterlichen Weitsichten schlug.
Mittlerweile habe ich eine flinke Flatrate und die bunte Vielfalt, Freiheit und frühväterliche Stressentspannung, wie es sich die Fussballplaner immer gewünscht haben: weg vom Stehrang - hin zur banalen Beliebigkeit am Kreditkonto.
Schauen wir deshalb zurück in alte Zeiten, als alles nicht besser, aber anders war. Einfacher, hart, aber herzlicher. Der Kreisverkehr des Borsigplatzes wurde wieder schneller und hatte ein Ziel: im Kreis weiterfahren und vom nächsten BVB-Spiel träumen.
Aber der BVB hatte ja immer genug Fans: in de schlimmsten Krisenzeiten nie im Stich gelassen, heute fast 3000 Mitglieder in der Fanabteilung. Nach dem Fast-Kollaps, der allzuleicht auf das gößere Stadion geschoben wurde, wächst hier der Einfluß der Zuschauer. Es gäbe keinen Grund zur Panik, daß selbst bei Wegfall der 50+1-Regelung die Borussia mal von gierigen Investoren aufgekauft wird. Der Verein scheint hundertprozentiger Besitzer der GmbH, die als Komplementär die Alleinmacht bei der GmbH & Co. KGaA hat.
Allen voran aber pilgern 50000 Dauerkarteninhaber ins Westfalenstadion, wie ich früher Jahre lang. Heute laufe ich mit dem Rest um Tages- und Auswärtstickets. Nicht immer, aber immer öfter.
BVB - You'll Never Walk Alone - irgendwie!